Volkmar Klien
Neue Musik und die Verteidigung des Abendlandes
In ihrer Selbststilisierung als einzig berechtigte Erbin der kompositorischen Heroen vergangener Jahrhunderte erhebt die Neue Musik auch Anspruch auf deren symbolisches Kapital. Dieses symbolische Kapital historischer europäischer Kunstmusik mit ihren Institutionen wie Symphonieorchester, Konzertsaal und Musikakademie, kann im System staatlicher Kunstförderung gegen greifbarere Formen von Kapital, nämlich Bargeld, eingetauscht werden. Dies ist für die Neue Musik von existentieller Bedeutung, denn ohne Bezahlung spielt niemand diese Musik. Dass oft gerade Experten und Expertinnen aus dem Bereich der institutionalisierten Neuen Musik die Vergabebeiräte bevölkern, ist den Erfolgsaussichten dieses Manövers nicht grundsätzlich abträglich.
In dieser Anbindung an die historischen Institutionen des musikalischen Abendlandes ist die Neue Musik nicht Trägerin und Ursprung jener Organisationen, in denen sie agiert, sondern deren Profiteurin. Sie agiert dabei zwar nicht als bloße Schmarotzerin, sondern steht zu diesen Institutionen auch in einem symbiotischen Verhältnis, da sie ihnen einen matten Glanz zeitgenössischer Relevanz verleihen kann. Als primäre Nutznießerin hat sie aber kaum Gestaltungsmacht über ihre (Wirts-)Institutionen und muss sich dementsprechend anpassen. So zeichnet sich Neue Musik heute weniger durch besondere strukturelle Eigenschaften ihrer Werke aus, als vielmehr durch die Entschlossenheit, medientechnisch rückwärtskompatible Musik für bestehende Strukturen wie Konzert- und Opernhäuser, Orchester und Notenverlage zu sein. pdf