29.08.2012

Performative Kunst


Musikalische Improvisation ist als performative Kunst par excellence anzusehen. Sie verfügt über keine apriori-Repräsentation jenseits ihrer Aufführung. Insbesondere zeitgenössische Ausprägungen kollektiv improvisierter Musik beziehen aus Momenten des Performativen musikalisch-ästhetische Sinnstiftung.

Jede Musik ist notwendigerweise auf ihre Aufführung angewiesen. Sie braucht die Situation des Zum-Klingen-Gebracht-Werdens, um Teil kulturellen Geschehens zu sein. Dabei wohnt künstlerischen Live-Aufführungen stets das Potential des Außergewöhnlichen inne. Wäre dem nicht so, könnte man auf Konzertbesuche verzichten und Musik nur mehr aus den Lautsprechern der heimischen Stereoanlage oder dem mobilen mp3-Player rezipieren.

Nimmt man keine strenge Unterscheidung zwischen live und aufgezeichnet vor, wie sie beispielsweise von dem Performancetheoretiker Philip Auslander diskutiert wird, kann allerdings auch die Nutzung technischer Reproduktionsmedien eine Art Live-Erfahrung herstellen, indem Rezipierende sich im Moment ihres Hörens Musik vergegenwärtigen und sich damit partiell in die originäre Entstehungssituation einfühlen. Voraussetzung hierfür ist, dass die entsprechende Musik bereits eine Aufführung erfahren hat, die zugleich aufgezeichnet worden ist und als mediale Repräsentation vergangenen Geschehens zur Verfügung steht.

Dies gilt in gleichem Maß für improvisierte Musik, auch wenn dieser aufgrund ihrer Einmaligkeit und Momentbezogenheit immer wieder die Unangemessenheit jeder Reproduktion bescheinigt worden ist.

Quelle:
Mathias Maschat, Performativität und zeitgenössische Improvisation, in: kunsttexte.de/auditive_perspektiven, Nr. 2, 2012 (15 Seiten), www.kunsttexte.de.

23.08.2012

Erweiterte Spieltechniken


Die Musik, die heute 'klassisch' genannt wird, war in ihrer Zeit nicht der individuell gewählte Spielort, sondern Horizont allen musikalischen Tuns und so waren die Gesetze und Medien klassischer Musik die Gesetze der Wirklichkeit, die Weltenden aller Möglichkeiten und keinesfalls optional gesetzte Spielregeln. Heutzutage ist dies im Hinblick auf Musikpraxis in diesem Umfeld nicht mehr der Fall, denn die verbliebenen musikalischen Stilbeschreibungen sind bloße Außenansichten auf diese Welten von einst. Vieles von dem, was als Horizont-Erweiterung begonnen hat, ist zu quasi-folkloristischem Brauchtum verkommen, dessen Begründung in der Pflege eben diesen Brauchtums selbst gesehen werden muss. Als Beispiel dafür sei die Rolle der 'erweiterten Spieltechniken' genannt.
Was dereinst auf der Suche nach neuen Klängen gefunden wurde, ist heute in medientechnischer Hinsicht oft unnotwendig, als Zeichen der Zugehörigkeit aber unerlässlich. "Die Möglichkeiten der Flöte ausloten", "die Grenzen immer wieder und neu in Frage stellen"; warum freut man sich denn nicht einfach an der Flöte? Und wenn man die Grenzen der Flöte nicht so gerne um sich sieht, lege man das Rohr doch zur Seite. 
Aber ohne ordentliche Instrumente gibt es keine Neue Musik, für die die Konzepte 'Handwerklichkeit' und 'Virtuosität' von so zentraler Bedeutung sind. Wobei sich gerade der Begriff der Handwerklichkeit bei näherer Betrachtung als bloße Immunisierungsstrategie für implizit vorausgesetzte Grundregeln entpuppt. Und ohne ordentliche Instrumente wiederum griffen jene Virtuosen, in deren romantischen Windschatten man sich bewegt, ja schlichtweg ins Leere.
Neue Musik, in ihrer freudigen Erbenschaft der abendländischen Musiktradition übersieht, dass die Instrumentarien und Techniken mit denen, wie auch die Ensembles und Konzerthäuser in denen sie arbeitet, kontingent und nicht bloß hinzunehmende Voraussetzungen sind. In Folge dessen konzentriert sie sich auf einen immer virtuoseren Umgang mit definierten Produktionsmitteln in einer de facto als endlich gedachten Welt.
Quelle: 
http://www.volkmarklien.com/text/VolkmarKlien_NeueMusikUndDieVerteidigung.pdf

22.08.2012

Angegraute Riten der Neutöner


Wie aus Revolutionären Musterschüler wurden: Starre Mechanismen und Hierarchien in der Neuen Musik

"Neue Musik", also jene Musik, die sich in der Tradition der europäischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts sieht, findet sich dieser Tage in einer recht eigenartigen Situation wieder. Was dereinst als radikale Kraft zur Erneuerung, Reflexion und Erweiterung althergebrachter Musikbegriffe die Bühne betrat, präsentiert sich heute, wiewohl immer noch das Banner des einzig wahrhaft "Neuen" tragend, als Formation defensiver Strukturen in Konservatoriums- und Konzerthausnähe.
Wie kommt es, dass Musik, deren zentrales Merkmal laut Eigendefinition ihre Neuheit ist, sich zum allergrößten Teil mit Instrumenten und in Konzertsälen des 19. Jahrhunderts ereignet?

Die Akademie, früher das Feindbild der Neutöner, bildet nun deren Rückgrat. Die Hochschulen mit ihren Aufnahmeprüfungen und assoziierten Wettbewerben agieren als Gleichrichter und Filter in der Nachwuchsarbeit. Nur die Bravsten der Tonsatzjugend dürfen studieren und werden so in ihrem Entsprechen-Wollen bestätigt. Die dort Lehrenden aber sitzen, weit über ihre Unterrichtstätigkeit hinaus, in Vergabebeiräten, in Wettbewerbsjurys, vermitteln Aufträge und Assistenzstellen und leisten so ihren Beitrag dazu, dass Neue Musik sich immer mehr von einer Musik der Revolutionäre und Revolutionärinnen zu einer Musik der Musterschülerinnen und -schüler (meist schon in dritter Generation) entwickelt.

Quelle:
http://www.volkmarklien.com/text/VolkmarKlien_NeueMusikUndDieVerteidigung.pdf

20.08.2012

Immer lauter, aber nicht besser


Die ursprüngliche Absicht, eine Aufnahme so zu produzieren, dass leise Passagen noch deutlich zu hören sind und die lauten Stellen noch erträglich, ist längst übererfüllt. Vor allem bei Pop und Rock wird die Dynamik in den letzten Jahren immer gnadenloser komprimiert und der Lautstärkepegel angehoben. Die Musik soll ja auch im Autoradio, in der Küche und im MP3-Player ordentlich rumsen. Alles klingt dann schön laut und alles klingt gleich laut. Richtig leise Stellen gibt es kaum noch. Wenn der Pegel aber ständig auf Anschlag steht, gehen musikalische Details und Klangfarben verloren, und das Hörerlebnis wird eintöniger.

Im Zeitalter von HD-Fernsehen und 3D sollte auch der Ton endlich auf den neuesten Stand gebracht werden.

Man muss in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass die CD nach ihrer Einführung Anfang der 80er Jahre gerade deshalb so gelobt wurde, weil sie einen wesentlich größeren Dynamikumfang als die Schallplatte möglich macht. Genau dieses Versprechen hat die CD aber nicht eingelöst.

Text-Quelle: 
http://www.netzwelt.de/news/92126_2-lautstaerkepegelregelung-r-128-schafft-ruhe.html

18.08.2012

Neue Ausdrucksmöglichkeiten


„Der Begriff Neue Musik wurde für eine Musik geprägt, deren Repräsentanten nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten suchen. Somit ist die Neue Musik einerseits an keine Epoche gebunden, sofern sie bestrebt ist, überkommene Vorbilder zu überwinden. Andererseits kann sie selbst wieder veralten, wenn neue Strömungen auftreten. So führten beispielsweise Mitte der 1960er Jahre neue Materalien und Verfahrensweisen (Kombination des herkömmlichen Instrumentariums mit elektronischen Klängen, Tonbandeinblendungen, verfremdeten Sprachlauten sowie Raumklangeffekte) zu einer neuen Form der Neuen Musik. Die verbindliche Fixierung der Notation weicht der Aufzeichnung einzelner Klang- und Geräuschelemente oder bloßen Hinweisen über die Art der Ausführung. Von zusätzlich, der überkommenen Notenschrift hinzugefügten, mitunter graphisch gestalteten Zeichen verläuft die Entwicklung bis zu den Assoziationsfeldern der musikalischen Grafik (Cage).“

Es herrscht große Einigkeit darüber, dass das potentielle Publikum – also die Menschen, die Geld ausgeben, um „Neue Musik“ (nicht nur versehentlich) erleben zu können – verschwindend gering ist. Geschätzt wird es für Deutschland auf etwa 5.000 bis 25.000 Personen. Die kleineren Zahlen kommen aus den Kreisen der Phonoindustrie, die höheren werden eher von Vertretern der Opernhäuser, der Rundfunkanstalten und Konzertveranstalter genannt.

Die einzige Schätzung, wie viele Menschen „Neue Musik“ im Rundfunk einschalten, stammt von Peter Stamm (NDR): er geht von 200.000 Hörern „traditioneller Musik“ im NDR aus, von denen die meisten die Musik als Hintergrundkulisse laufen lassen; auf dieser Basis rechnet er mit eventuell 6.000 Hörern, die gezielt „Neue Musik“-Sendungen anhören (also wirklich hinhören).

Quelle: http://www.copy-us.com/sonstiges/Neue_Musik.pdf)

15.08.2012

Keine Experimente


«Organized Sound» – «Gestalteter Klang» nennt Edgard Varèse ab einem sehr frühen Zeitpunkt sein musikalisches Schaffen. Zunächst vielleicht einfach nur, um den lästigen Anfeindungen auszuweichen,  denen seine Werke von Anfang an ausgesetzt waren: ob denn das überhaupt noch Musik zu nennen sei, ob das nicht bloß Lärm sei etc. (Man kennt das. Ästhetische Ressentiments sind unheilbar. Sie wurzeln  tief in verborgenen Schichten der Seele, da greift keine Argumentation.) «Lärm ist jeder Klang, den man nicht mag», kommentiert Varèse das später lakonisch. Anders als bei den Futuristen, mit denen er gelegentlich verglichen wird, hat man bei Varèse allerdings nicht den Eindruck, dass sich hier ein bildender Künstler in naiver Radikalität auf dem Terrain der Musik versucht (Varèse verwehrt sich gegen diese Gleichsetzung). Im Gegenteil: Er kehrt den ureigenen bildnerischen Aspekt des Musikschaffens selber hervor und erkennt mit untrüglichem Instinkt, dass die neuen Technologien, die elektronische Klangerzeugung sowie die Speicherung und Bearbeitung aller Arten von Klang, diesem bildnerischen Ansatz ungeahnte Möglichkeiten eröffnen. «L’art acousmatique» – «akusmatische Kunst» wird das ab den 50er Jahren in Paris genannt, wohl aus ähnlichen Günden: Um die aufgeregten Traditionalisten zu beruhigen, indem man ihrer sakrosankten Definition des Musikalischen nicht zu nahekommt. Auf den Dichter Guillaume Apollinaire geht das Wort angeblich zurück, Pierre Schaeffer hat es übernommen und François Bayle hat es in den 70er Jahren, wie er selber sagt, wieder aufgegriffen, um die phänomenologische Eigenständigkeit der Klanggestalten («akusmata») hervorzuheben. Wir können nun «Klänge hören, die keine physische Existenz haben, autonome Klänge, und so eine erweiterte Wahrnehmung der Welt des Klanglichen erleben ... Klänge ohne Körper, ohne vorangehende Ursachen, Klänge, deren Ursache nicht flussaufwärts, sondern gleichsam flussabwärts in ihrem Kontext gesucht werden muss». Vom «Klangobjekt» («objet sonore») ist immer wieder die Rede. Damit sind nicht Dinge gemeint, aus Holz oder Draht oder Blech, mit denen sich Töne und Geräusche erzeugen lassen, es sind die Klänge selbst, die Schwingungen, die mit einem Mal ihren Anspruch auf Realität geltend machen. Welche Herausforderung für das musikalische Schaffen! Welche Perspektive für die akustische Wahrnehmung, das Hören! Auf die Komponisten Mitte des 20. Jahrhunderts muss das umwerfend gewirkt haben. Kaum einer, der sich dieser Aufbruchsstimmung anfänglich entziehen konnte; kaum ein heute namhafter Instrumentalkomponist, der aus dieser Zeit nicht wenigstens ein Tonbandstück aufzuweisen hat. (Man sehe sich nur die Kataloge der experimentellen Produktionsstudios in den 50er Jahren an: Paris, Köln, Warschau, Wien…) Nicht alle hatten freilich den Mut, die Bequemlichkeit eines gesicherten musikalischen Weltbildes dafür aufzugeben; und noch weniger das Durchhaltevermögen, auf den neuen Produktions- und Aufführungsformen gegen jeden gesellschaftlichen Widerstand zu bestehen.

Man sollte auch nicht vergessen, dass die Komponistenverbände – um zu verhindern, dass die Orchester «unnötig» werden – sofort eine niedrigere Tantiemeneinstufung für elektronische Musik durchgesetzt haben, die bis heute wirksam ist!

«Das Rohmaterial der Musik ist Klang. Das ist es, was viele Leute aus Ehrfurcht vor der Tradition vergessen haben – sogar Komponisten. Der Komponist ist noch immer von Traditionen besessen, die nichts weiter sind als die Beschränkungen seiner Vorgänger.» (Edgard Varèse)

(Quelle: http://eap.form.at/_docs/Akusmatik.pdf)

13.08.2012

Neue Musik


Dass der Begriff der „Neuen Musik“ (mit großen Initialien) – oder alternativ der „neuen musik“ (klein geschrieben, aber nicht aus Bescheidenheit) – ursprünglich einmal von den Erfindern negativ gemeint war, dass er als herabsetzender Kampfbegriff benutzt wurde, ist heute kaum noch bekannt. Wie so viele andere Begriffe wurde auch dieser von denen, die man damit zu schmähen trachtete, schon bald als willkommene Abgrenzung zu den Spöttern und damit zum Herkömmlichen, zum Bekannten benutzt.

„Neue Musik“ ist mal eine Ware, mal ein Anlagegut, mal ein Abschreibungsposten. Ihr Entstehen verdankt sie einem komplexen, oft intrigenreichen Zusammenspiel von Komponisten, Musikern, Technikern, Agenten, Funktionären. Die Zuhörer schließlich kaufen die Musik durch den Erwerb von Tickets oder CDs. Musik ist damit einem Marktgeschehen ausgesetzt; durch ihr Vorhandensein findet ein Geldumlauf statt.

Die Schaltstellen, die über den Warenwert bestimmen, sind selten Komponisten, kaum Musiker, sondern zumeist Intendanten von Opernhäusern, Redakteure von Rundfunkanstalten, Leiter von Festspielen und „Neue Musik“-Festivals, Musikverleger und -vertreiber oder Funktionäre in Stiftungen. Hier fließen die Geldströme (resp. -bäche, -rinnsäle), und hier ernährt die Musik – bisweilen sogar die „Neue Musik“ – tatsächlich ihren Mann bzw. ihre Frau.

(Quelle: http://www.copy-us.com/sonstiges/Neue_Musik.pdf)

09.08.2012

Verrätselte Hörwelt


Nicht jede Musik lässt sich auch in herkömmlicher Notenschrift darstellen und kann darum auch nicht von Interpreten live aufgeführt werden.
Hier gilt es, neue Wege der Kommunikation zwischen Publikum und Künstlerinnen/Künstlern zu finden.


Unsichtbare Klänge


Unsichtbare Musik




Titel: Zeit Raum (18:55)

Idee und Ausführung: Matthias Bornemann, Michael Pabst
Ort: Nordrhein-Westfalen, Studio für experimentelle Musik

Genres: Akusmatische Musik, Elektroakustische Musik, Klangkunst

08.08.2012

Neue musikalische Qualitäten


Indem Musiker Improvisatoren wurden, interessiert an einer klischeelosen, gegenwärtigen Klanglichkeit, wurden sie zugleich zu Instrumentenbauern und Komponisten. Durch jeweils individuell umgebaute Instrumente und individuelle Spieltechniken haben sie im lebendigen Prozess des Musizierens ein nuanciertes Geräuschklangvokabular entwickelt, das sich ein Komponist am Schreibtisch oder auch am Computer nicht ausdenken kann. Jede ernst zu nehmende Musikerin, jeder ernst zu nehmende Musiker aus dieser Szene hat im Zusammenwirken von Spieltechnik und Instrumentenbau sein eigenes Vokabular, seine eigene Klangsprache erfunden. Ein Vokabular, dessen Basis – statt struktureller Konstruktionen wie bei klassischen Komponisten – kommunikative Situationen des Musizierens bilden, kommunizierend entweder selbstreferentiell mit dem eigenen Instrument und Material oder reagierend auf das Material und die Musikalität der Mitspieler. Gerade durch die Erforschung der Geräuschklänge wurden bei dieser Art der Improvisation musikalische Verhaltensweisen erforderlich, die die Spielpraxis selbst verändert haben. An die Stelle eines platten Tutti-Solo-Arrangements oder von dialogischen Prozessen trat ein zugleich autonom selbstreflexives und sensibel reagierendes musizierendes Verhalten.

(Quelle: http://edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/2012-2/nauck-gisela-3/PDF/nauck.pdf)