23.08.2012

Erweiterte Spieltechniken


Die Musik, die heute 'klassisch' genannt wird, war in ihrer Zeit nicht der individuell gewählte Spielort, sondern Horizont allen musikalischen Tuns und so waren die Gesetze und Medien klassischer Musik die Gesetze der Wirklichkeit, die Weltenden aller Möglichkeiten und keinesfalls optional gesetzte Spielregeln. Heutzutage ist dies im Hinblick auf Musikpraxis in diesem Umfeld nicht mehr der Fall, denn die verbliebenen musikalischen Stilbeschreibungen sind bloße Außenansichten auf diese Welten von einst. Vieles von dem, was als Horizont-Erweiterung begonnen hat, ist zu quasi-folkloristischem Brauchtum verkommen, dessen Begründung in der Pflege eben diesen Brauchtums selbst gesehen werden muss. Als Beispiel dafür sei die Rolle der 'erweiterten Spieltechniken' genannt.
Was dereinst auf der Suche nach neuen Klängen gefunden wurde, ist heute in medientechnischer Hinsicht oft unnotwendig, als Zeichen der Zugehörigkeit aber unerlässlich. "Die Möglichkeiten der Flöte ausloten", "die Grenzen immer wieder und neu in Frage stellen"; warum freut man sich denn nicht einfach an der Flöte? Und wenn man die Grenzen der Flöte nicht so gerne um sich sieht, lege man das Rohr doch zur Seite. 
Aber ohne ordentliche Instrumente gibt es keine Neue Musik, für die die Konzepte 'Handwerklichkeit' und 'Virtuosität' von so zentraler Bedeutung sind. Wobei sich gerade der Begriff der Handwerklichkeit bei näherer Betrachtung als bloße Immunisierungsstrategie für implizit vorausgesetzte Grundregeln entpuppt. Und ohne ordentliche Instrumente wiederum griffen jene Virtuosen, in deren romantischen Windschatten man sich bewegt, ja schlichtweg ins Leere.
Neue Musik, in ihrer freudigen Erbenschaft der abendländischen Musiktradition übersieht, dass die Instrumentarien und Techniken mit denen, wie auch die Ensembles und Konzerthäuser in denen sie arbeitet, kontingent und nicht bloß hinzunehmende Voraussetzungen sind. In Folge dessen konzentriert sie sich auf einen immer virtuoseren Umgang mit definierten Produktionsmitteln in einer de facto als endlich gedachten Welt.
Quelle: 
http://www.volkmarklien.com/text/VolkmarKlien_NeueMusikUndDieVerteidigung.pdf