22.08.2012

Angegraute Riten der Neutöner


Wie aus Revolutionären Musterschüler wurden: Starre Mechanismen und Hierarchien in der Neuen Musik

"Neue Musik", also jene Musik, die sich in der Tradition der europäischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts sieht, findet sich dieser Tage in einer recht eigenartigen Situation wieder. Was dereinst als radikale Kraft zur Erneuerung, Reflexion und Erweiterung althergebrachter Musikbegriffe die Bühne betrat, präsentiert sich heute, wiewohl immer noch das Banner des einzig wahrhaft "Neuen" tragend, als Formation defensiver Strukturen in Konservatoriums- und Konzerthausnähe.
Wie kommt es, dass Musik, deren zentrales Merkmal laut Eigendefinition ihre Neuheit ist, sich zum allergrößten Teil mit Instrumenten und in Konzertsälen des 19. Jahrhunderts ereignet?

Die Akademie, früher das Feindbild der Neutöner, bildet nun deren Rückgrat. Die Hochschulen mit ihren Aufnahmeprüfungen und assoziierten Wettbewerben agieren als Gleichrichter und Filter in der Nachwuchsarbeit. Nur die Bravsten der Tonsatzjugend dürfen studieren und werden so in ihrem Entsprechen-Wollen bestätigt. Die dort Lehrenden aber sitzen, weit über ihre Unterrichtstätigkeit hinaus, in Vergabebeiräten, in Wettbewerbsjurys, vermitteln Aufträge und Assistenzstellen und leisten so ihren Beitrag dazu, dass Neue Musik sich immer mehr von einer Musik der Revolutionäre und Revolutionärinnen zu einer Musik der Musterschülerinnen und -schüler (meist schon in dritter Generation) entwickelt.

Quelle:
http://www.volkmarklien.com/text/VolkmarKlien_NeueMusikUndDieVerteidigung.pdf