30.06.2012

Am Klang arbeiten


Musik vor-schreiben und nach-spielen – oder Musik in Echtzeit erfinden. Dahinter stehen nach wie vor zwei verschiedene Welten neuer Musik – Komposition und Improvisation. Welten, die auch im gegenwärtigen Musikleben immer noch ziemlich getrennt nebeneinander her existieren mit jeweils eigenen Kontexten: Veranstaltungs- und Verbreitungsstrukturen, Musikern und Publikumskreisen (Überschneidungen inbegriffen). Welten, die sich in den letzten zehn Jahren aber auch angenähert haben, in denen es zu wechselseitigen Anregungen gekommen ist und gemeinsame Projekte zu beobachten sind. Etwa seit den 1970er Jahren aber haben Komponisten und Improvisatoren mindestens ein gemeinsames Interesse: die Arbeit am Klang.















Angefangen von den Serialisten über die französischen Spektralisten bis hin zu den Objektklängen eines John Cage und der Musique concrète instrumentale eines Helmut Lachenmann haben Komponisten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das mögliche Klangmaterial von Musik scheinbar ausgereizt. Doch durch die experimentelle Improvisation wurde diese Ausdifferenzierung besonders im Bereich der Geräuschklänge noch einmal weitergetrieben. Im Zentrum steht nun nicht mehr der Ton als Klang, sondern die Materialität der Klänge inklusive der Klangerzeuger selbst. Bei den Improvisatoren machte vor einiger Zeit das Bild die Runde, dass man einen Klang wie unter einem Mikroskop betrachten und immer neue Facetten entdecken und freilegen könne. Einbezogen in dieses Entdecken sind nun auch die klangerzeugenden Spielmaterialien selbst – von der Gitarrensaite über vielfältigste Objekte, meist aus dem Lebensalltag, bis zum Mischpult –, um diese auf ihr klangliches Potential hin zu analysieren und ins Spiel zu bringen. Analyse und Anwendung fallen dabei oftmals zusammen.
(Quelle: http://edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/2012-2/nauck-gisela-3/PDF/nauck.pdf)