09.09.2012

Elektronische Techniken


Neue Musik ist im Normalfall partiturgebundene Musik für das Instrumentarium des (spät-)romantischen Symphonieorchesters. Sie ist somit medientechnisch rückwärtskompatibel mit den seit dem 19.Jahrhundert in Europa etablierten Institutionen der Symphonieorchester und dem Musikmarkt vor der Erfindung des Tonträgers.

Sie ist also jene Musikrichtung, der die medientechnischen Veränderungen der letzten sechzig Jahre noch am wenigsten anzusehen und anzuhören sind. Dies ist umso erstaunlicher, als viele der elektronischen Techniken ursprünglich im Bereich der musikalischen Avantgarden entwickelt wurden. Bei den großen Festivals kommen wohl immer wieder Werke mit Live-Elektronik vor, im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen - mit einzelnen Erweiterungen z.B. im Schlagwerk - aber unverändert die Instrumente des europäischen Symphonieorchesters. 

Der Lautsprecher und all seine zugehörigen medialen Techniken wie Tonaufzeichnung, -bearbeitung und - übertragung werden dabei als Erweiterungen des kanonischen, klassischen Instrumentariums angesehen. Dass sich durch den Lautsprecher, durch die Medialisierung von Klang und Musik, deren Produktions- und Rezeptionsweisen ganz grundsätzlich verändert haben, wird kaum wahrgenommen. 

Diese Medialisierung, die selbst stetiger und dynamischer Veränderung unterworfen ist, ändert aber nicht nur die Rollen, die das traditionelle Instrumentarium in Konzertsituationen einnehmen kann, sondern sie ändert vielmehr das, was musikalischer Alltag ist, wie Musik gemacht, erlernt, gedacht, gebraucht und erlebt wird. Sie ändert also das, was Musik ist.

Quelle: http://www.volkmarklien.com/text/VolkmarKlien_NeueMusikUndDieVerteidigung.pdf