04.10.2012

Urheberrechtsdebatte


Wir kriminalisieren eine ganze Generation, die Musik digital über das Internet kopiert. Dass Copyshops und Mixtapes hingegen legal sind, zeigt: Das Modell der Kulturflatrate ist in vielen Bereichen längst Praxis. Es wird Zeit, über eine Neuauflage zu diskutieren. 

Wir müssen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen. Auch die Gema und die VG Wort bräuchten wir nicht mehr und in letzter Konsequenz könnten wir uns auch das dann plötzlich kriminelle Treiben in den Kopierläden rund um die Uni nicht weiter leisten. Auch sie müssten über kurz oder lang geschlossen werden.

Das jedenfalls wäre die Folge dessen, was Gegner der sogenannten Kulturflatrate in den vergangenen Wochen fürs digitale Kopieren beschreiben: Pauschale Vergütungssysteme, so sagen sie, sind unpraktikabel, ungerecht und nicht umzusetzen.

Was sie nicht sagen: Pauschale Vergütungssysteme sind in vielen Bereichen bereits Alltag in diesem Land. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird ebenso über eine Pauschale finanziert wie die Verwertungsgesellschaften Gema und VG Wort in dieser Art Tantiemen für Künstler ausschütten.

Und selbst bei der wenige Cent teuren Papierkopie an der Uni spielen pauschale Modelle ein Rolle: Der Besitzer des Ladens entrichtet für den Kopierer eine pauschale Abgabe, über die diejenigen bezahlt werden, deren Werke hier ohne Kontrolle vervielfältigt werden können.

Was wir von der Mixtape-Kultur lernen können

Das Dilemma, vor das die digitale Kopie die Gesellschaft stellt, ist nicht neu. Vor vierzig Jahren wählte man in vergleichbarer Situation einen Ausweg, der mindestens als Grundlage für die aktuelle Debatte dienen sollte: Damals wie heute stellte eine neue Technologie das bestehende System vor eine große Herausforderung. Damals klauten die jungen Menschen angetrieben durch eine eben nicht netzgeschaffene Umsonstkultur Lieder aus dem Radio. Sie nahmen sie auf Kassetten auf.

Alle Kampagnen, die mit dem angekündigten Untergang der Kultur arbeiteten ("Hometaping is killing music"), griffen ins Leere, einzig eine Pauschalabgabe zeigte Wirkung: die Leermedienabgabe, die die Kassettenjungs und Kassettenmädchen entrichten müssen, wenn sie Tonträger kaufen, wird über Verwertungsgesellschaften umgelegt und den Künstlern gezahlt.

Völlig unabhängig davon, ob der Künstler klassische oder Popmusik macht. Und diese Gelder werden nicht als Honorar, sondern als Tantieme gezahlt, jeder Konsument bezahlt also weiterhin direkt für das kulturelle Produkt, das er oder sie erwirbt. Für die zweite Nutzung wird jedoch eine Pauschale erhoben.

Im Bereich der Kassettenkopie ist also bereits Realität, was im Bereich der Digitalkopie ummöglich sein soll: Die Leermedienabgabe hat weder zu einem Ende der Kultur geführt, noch hat sie einen bürokratischen Überwachungsapparat genährt (wobei man über eine Reform der Gema gesondert reden könnte).

Quelle: http://www.sueddeutsche.de/digital/urheberrechtsdebatte-kopierfrieden-durch-die-kulturflatrate-1.1333490-2


Das moderne Urheberrecht des 20. Jahrhunderts ist konzipiert worden für sehr kleine Gruppen von Profis: Es regelte klar definierbare Geschäftsbeziehungen. Es gab die Verwerter auf der einen Seite und auf der anderen Seite professionell agierende Urheber. Mit der Verfügbarkeit der ersten Reproduktionstechnologien in privaten Haushalten sind die Rezipienten im urheberrechtlichen Sinn zu "Nutzern" geworden. Denn Musikaufnahmen mit Kassetten- oder Filmkopien mit Video-Rekordern fallen unter das Urheberrecht.

Privates Leben findet zunehmend im Netz statt - auf einmal ist das urheberrechtsrelevant. Die Menschen tun das, was sie immer getan haben - sie kommunizieren, sie verständigen sich. Es ist darum ein Mythos, dass sich heute eine so genannte Gratismentalität eingeschlichen hat. Klar, die Beschaffungsmöglichkeiten sind dank der neuen Medien größer. Aber deswegen ist das Verhalten heute nicht anders und nicht mehr zu verurteilen als damals. Uns hat auch niemand Verbrecher gescholten, wenn wir aus dem Radio aufgenommen haben.


Quelle: http://www.sueddeutsche.de/digital/urheberrechtsdebatte-und-ploetzlich-sind-wir-kriminell-1.1383958