16.09.2012

Hören im Alltag


Die Bedeutung der auditiven Wahrnehmung für den Menschen kann kaum überbewertet werden. Das Hören ist als Raum- und Orientierungssinn in unserem Alltag permanent gefordert. Aus kulturkritischer Sicht wird festgestellt: Das konzentrierte Zuhören gelingt insbesondere jungen Menschen nur noch für eine kurze Zeitspanne, Stille ist für sie kaum noch zu ertragen (der Verdacht liegt nahe, dass die Massenmedien mit ihren kurzen Sendeformen und ihrer akustischen Allgegenwart diese Tendenz verstärkt haben könnten).
Einerseits wird das Hören in ein (a) wertvolles Hören (Zuhören bei Sprache und Musik) und (b) nicht-wertvolles und erzwungenes Hören der Umwelt (bis hin zum Weghören) geteilt. Andererseits geht – hinsichtlich des eher wertvollen Hörens von Musik – mit der ständigen Verfügbarkeit musikalischer Unterhaltung (‚Musikteppich‘) auch eine Verringerung des aufmerksamen Zuhörens einher. Man hört zwar immer und überall Musik, aber eben nur nebenbei und nicht konzentriert, es bleibt bestenfalls beim ‚Hören‘, das ‚Zuhören‘, ‚Horchen‘ und ‚Lauschen‘ verliert hingegen an Bedeutung. Unter den Hörweisen, die bei der Musikrezeption zu beobachten sind, tritt das ‚kompensatorische‘ und ‚diffuse‘ Hören in den Vordergrund, ‚assoziatives‘ oder ‚distanzierendes‘ Hören ist hingegen selten.











Durch die beständige Zunahme der künstlichen Musikreproduktion mittels elektronischer Übertragungsmedien und Tonträger (sogenannte Übertragungs- oder Lautsprechermusik) sowie durch die permanente Verfügbarkeit der Tonträger und Abspielgeräte (Hi-Fi-Anlage, Radiogerät, Computer/Notebook, Autoradio, Walkman, MP3-Player, Handy mit Radio-/Audiowiedergabe) besteht im Alltag jederzeit die Möglichkeit, Musik zu hören; die Lautsprechermusik ist als ein gewissermaßen zwangsläufiger und zu jeder Zeit verfügbarer Teil des Lebens in den Alltag der Rezipienten integriert. Musikhören ist dann einerseits nichts Besonderes mehr, sondern gleichsam ‚natürlicher‘ Bestandteil des Alltags und des gewöhnlichen Tagesablaufs, andererseits aber kann insbesondere die Musik oder das mit Musik verbundene Rezeptions-Ritual zum Mittel einer Flucht aus dem Alltag werden. Während wir früher zur visuellen und akustischen Abschirmung, zum Schutz vor unerwünschtem Schall vor allem Wände bzw. Räume genutzt haben, verwenden wir heute auch den Schall selbst (hier vor allem Musik), um in einer fremden oder lärmenden Umgebung unseren eigenen privaten (akustischen) Raum entstehen zu lassen, z. B. bei der mobilen Nutzung von Walkman, MP3-Player oder Autoradio.

Quelle: http://www.frank-schaetzlein.de/texte/sound_gfm2005.pdf